„Wir sind Europas Geisterfahrer!“ – Edo Popovic, Chief-Undergrounder der kroatischen Literatur, zu Gast in Krems

Edo Popović ist Chief-Undergrounder der kroatischen Literatur. Ende der 80er wurde sein Roman „Mitternachtsboogie” ein Kultbuch. Wolfgang Kühn sprach mit ihm über seine neuesten Bücher: die „Tattoogeschichten” und „Aufstand der Ungenießbaren”, das im Herbst bei Luchterhand erscheint.
Edo Popovic im Unabhängigen Literaturhaus Krems
Sein Roman „Mitternachtsboogie” (1987) wurde zum Kultbuch. 1991 bis 1995 war er Kriegsberichterstatter aus Kroatien. Edo Popovic, kroatischer Underground-Literat.
von Wolfgang Kühn |

Der kroatische Schriftsteller Edo Popović hat Krems in guter Erinnerung, er hat hier schon einmal ein wunderbaren Monat verbracht und einen guten Teil seines Romans „Der Aufstand der Ungenießbaren“ geschrieben. „Für mich“, meint Popović, „ist Krems wirklich ein guter Ort, um zu schreiben.“

„Der Aufstand der Ungenießbaren“ – eine „groteske” Vision des Jahres 2020

Besagter Roman erscheint im Herbst auf Deutsch im Luchterhand Ver­lag und hat auch lokalen Bezug. Einige Kapitel sind in Krems angesiedelt und Edo erwähnt in seinem Roman, nicht ohne Hintergedanken, die Gefangenschaft von Richard Löwenherz in Dürnstein.

Der Roman hat drei Erzählstränge, von denen einer das Jahr 2020 thematisiert. In diesem Jahr werden aus marktökonomischen Über­le­gungen alle Institutionen, die keinen Profit abwerfen, wie etwa öf­fent­liche Schulen, Kindergärten, Universitäten, Büchereien, usw. ge­schlos­sen. Darunter fällt auch das öffentliche Gefängnis.

Kroatiens Hauptstadt Zagreb, Ilicastraße
Die Ilicastraße in der Innenstadt Zagrebs - mit traditionsreichem Handwerk und vielen Geschäften (Foto: © sanimir - fotolia.com)

Popovic‘ Utopie von Krems: Museum für Verbrechen statt Gefängnis in Stein

Die Eventindustrie im Jahr 2020 konzentriert sich auf Verbrechen und Verbrecher. Der Protagonist des Romans ist Mitglied einer Terror­or­ga­ni­sa­tion, die Bankiers, Vorstandsdirektoren, generell Mitglieder der neoliberalen Elite kidnappt und umbringt.

Die Suche nach seinen früheren Freunden verschlägt ihn nach Krems. Das Gefängnis in Stein musste in der Zwischenzeit einem Museum für Verbrechen weichen, das wie Dürnstein von Touristenhorden heim­ge­sucht wird. Den Stadtpark von Krems ziert eine Josef Fritzl Statue.

Ein Aktivisten-Roman – fleißig bei Strategien und Methoden

Edo Popovic, Tattoogeschichten, Cover
Buchcover: © Voland und Quist Verlag, Leipzig

Zu Edo Popovićs Überraschung wur­de das Buch in Kroatien sehr positiv auf­ge­nom­men. „Der Roman weicht stark von dem ab, was ich bisher ge­schrie­ben habe, deshalb war ich mir nicht sicher, ob die Leser und Kritiker ihn auch an­nehmen wür­den. Ich schrecke nicht davor zurück, verschiedene unorthodoxe Methoden und Strategien an­zu­wen­den, die mir helfen, mich aus­zu­drü­cken und mit dem Leser zu kom­mu­ni­zieren”, sagt Popovic.

„In »Der Aufstand der Un­ge­nieß­baren« zitiere ich aus der The­o­re­tischen Physik, aus Lan­des­ver­fas­sungen, aus Zen Koanen, aus Lyrik, Prosa, Gerichtsurteilen, wis­sen­schaft­lichen Tex­ten, aus der Geschichte – ich ziehe ver­schie­dene Re­gis­ter, poetische genauso wie journa­lis­tische, ich erfinde Spiele, lege selbst die Regeln fest, ich habe sogar ein Kapitel über häufig gestellte Fragen eingefügt, und das alles auf weniger als 130 Seiten. Literaturkritiker haben es einen Aktivisten-Roman genannt. Dagegen kann ich nichts einwenden.“

„Tattoogeschichten“ – die unter die Haut gehen

Sein zuletzt (2011) auf Deutsch erschienenes Buch nennt sich „Tat­too­ge­schichten“. Der Titel wurde deshalb gewählt, weil die Ge­schich­ten beim Lesen derart unter die Haut gehen, dass man sie später nicht mehr ent­fer­nen kann, auch nicht durch Haut­trans­plan­tation. „Die einzige Mög­lich­keit, sie zu ent­fer­nen“, ver­sichert Edo Popović glaub­haft, „ist mit­tels Lo­bo­tomie“.

Die Geschichten und Gedichte wurden vom kroatischen Unter­grund­küns­tler Igor Hofbauer illus­triert. „Wir haben viel darüber dis­kutiert, wie das ge­schehen soll und es war eine sehr auf­re­gen­de Er­fah­rung“, schwelgt Edo in Er­in­ner­ungen. „Wir haben an diesem Werk ein Jahr lang gearbeitet!“

Heimatland Kroatien: „Wir sind die europäischen Geisterfahrer!“

Edo Popovic, kroatischer Schriftsteller
Popovic: „Wir Kroaten haben vier politische Gebilde zerstört. Jetzt ist die EU dran!” (Foto: © Mio Vesovic)

„Wir sind eine ziemlich ir­ra­t­i­on­ale Nation!“, antwortet Popovic auf die Frage, ob sein Heimatland Kroatien der EU beitreten soll. „Wir gehen immer dorthin, wo die anderen nicht hinwollen, wir gehen immer in die ent­ge­gen­ge­set­zte Richtung. Wir sind die europäischen Geisterfahrer!“ Edo Popović glaubt, dass die EU alles vermasselt hat, weil sie Kroatien als Beitrittsland akzeptiert.

„Wir sind ein bösartiger Virus, in neunzig Jahren haben wir vier politische Gebilde zerstört – die k.u.k. Monarchie, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das Königreich Jugoslawien und die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Und jetzt ist die EU dran!“

Popovic‘ neuestes Werk in Krems

Aktuell in Krems schreibt er an einem Buch über Reportagen. Er verwendet als Matrix sechs Reportagen aus den Zwanzigerjahren, die vom kroatischen Wissenschaftler und Reisenden Miroslav Hirtz verfasst wurden. Er ist mit seinen Freunden damals durch den Velebit, den größten und schönsten Gebirgszug Kroatiens gereist. „Fast achtzig Jahre später bin auf dieselbe Art und Weise wie er gereist und habe ebenfalls darüber geschrieben. Auch das war eine sehr aufregende Erfahrung!“

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Edo Popović, geboren 1957, lebt in Zagreb. Er war Mitbegründer einer der einflussreichsten Underground-Literaturzeitschriften des ehemaligen Jugoslawiens, sein erster Roman „Ponoćni boogie“ („Mitternachtsboogie“, 1987) wurde zum Kultbuch seiner Generation.

Von 1991 bis 1995 war Edo Popović einer der bekanntesten Kriegsberichterstatter Kroatiens, anschließend veröffentlichte er mehrere Romane und Erzählbände. Er gilt als Kroatiens Stimme der Verlierer der gesellschaftlichen Transformation nach der Wende.

Von Edo Popović erschienen auf Deutsch (Übersetzung Alida Bremer): „Ausfahrt Zagreb-Süd“ (2006), „Kalda“ (2008), „Die Spieler“ (2009), „Mitternachtsboogie“ (2010) und zuletzt „Tattoogeschichten“ (2011) – alle bei Voland & Quist (Dresden / Leipzig)

 

Dienstag, 28. Februar 2012
DEPENDANCE OST präsentiert: Edo Popović / Kroatien
ORT: Buchkontor (1150 Wien, Kriemhieldplatz 1)
BEGINN: 19 UHR Eintritt frei
weitere Infos unter:
www.ulnoe.at bzw. www.buchkontor.at

Foto Artikelanfang: © ULNÖ
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