magzin-buchtipp: Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Residenz Verlag 2014 | Zum Attentat von Sarajevo. Vor 100 Jahren auf den Tag genau

Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Residenz Verlag, 2014
Sehr empfehlenswert: Gregor Mayers „Verschwörung in Sarajevo” im Residenz Verlag
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Das Attentat von Sarajevo

Am 28. Juni 1914 starb Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo. Gregor Mayer hat im Residenz Verlag ein neues Buch vorgelegt, das die Hintergründe des Attentats  informativ und spannend nachzeichnet. Im Mittelpunkt steht der blutjunge Attentäter Gavrilo Princip, bosnischer Serbe und Gymnasist, der leidenschaftlich gerne Bücher las.
von Andreas Wagner, Herausgeber magzin.at  ◦

Heute auf den Tag genau vor 100 Jahren starb Österreichs Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajavo. Der Todesschütze, ein Gymnasiast und bosnischer Serbe, war nur 19 Jahre alt: Gavrilo Princip. Einen Monat später erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg, womit der blutige Erste Weltkrieg 1914-1918 begann, der 17 Millionen Menschen den Tod brachte.

Wie kam es zum Attentat?

Wie kam es zur Tat? Wer stand hinter dem Komplott? Gregor Mayer hat dazu ein sehr gutes, neues Buch geschrieben, das im Residenz Verlag in St. Pölten erschienen ist, mit dem Titel: „Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip“.

Darin zeichnet der österreichische Journalist Gregor Mayer auf 160 Seiten ein spannendes Porträt des Attentäters Gavrilo Princip, eingeflochten in eine knappe, jedoch sehr informative, pointierte Beschreibung der Zeit, der historischen und politischen Umstände, die zum Attentat führten, und der sozialen, politischen und kulturellen Milieus, die Gavrilo Princip geprägt und seine folgenreiche Tat „möglich gemacht“ hatten.

Habsburgs Überfall auf Bosnien-Herzegowina

Sehr positiv an Gregor Mayers „Sarajevo“-Buch ist zunächst, dass jede nostalgische Sentimentalität gegenüber den Habsburgern fehlt. Ihre autoritäre Politik und ihre Un­fähig­keit, demokratische Reformen einzuleiten, wird nicht beschönigt, sondern deutlich angesprochen.

Im Jahr 1878 hatte die Habsburger Monarchie Österreich-Ungarn das Nachbarland Bosnien-Herzegowina überfallen und militärisch besetzt (im sog. Okkupationsfeldzug, den 153.000 österreichische Soldaten führten und der auf heftigen militärischen Widerstand stieß) und im Jahr 1908 dann endgültig annektiert.

Auf dem Balkan aber gärte es zu dieser Zeit gewaltig. Serbien hatte eben erst, im Jahr 1878, die jahrhundertelange osmanische Herrschaft abgeschüttelt. Russland unterstützte Serbien und den Balkanbund in den weiteren Kriegen gegen die Türkei 1912 und 1913.

Der serbische Geheimdienst unterstützt den Attentäter

Serbische Geheimdienste und Freischärler, freiwillige Milizverbände, spielten in diesen Kämpfen eine große Rolle. Gregor Mayer zeigt die Berührungspunkte. Wie der serbische Geheimdienst Gavrilo Princip beim Attentat unterstützte. In welchen Belgrader Kneipen Gavrilo Princip 1912-1914 saß. Und wie die Atmosphäre des nationalistischen, serbischen Freiheitskampfes und der Frei­schärler auf die jungen Schüler wirkte.

Sehr verständlich und empathisch dringt Mayer in diese Welt des brüchigen, ethnisch und politisch zerrissenen Balkan ein. Wohl auch, weil er als Journalist für „Profil“ und „Standard“ in den 1990er-Jahren Berichterstatter im zerfallenden Jugo­slawien gewesen war.

Häftling in Theresienstadt

Gleich zu Anfang des Buchs sehen wir Gavrilo Princip, den blutjungen bosnischen Serben und Attentäter, als Häftling in Theresienstadt, todkrank, schwer gezeichnet von der Kerkerhaft. Es ist Februar 1916. Ein Wiener Nervenarzt, der später als Psychoanalytiker sich einen Namen machte, hat Erlaubnis, den Attentäter zu visitieren. „Die Motive“, notiert der Arzt, „Rache und Liebe. Ganze Jugend in solcher revolutionärer Stimmung.“

Der Einfluss der russischen Sozialrevolutionäre

Sehr gelungen und aufschlussreich ist die Beschreibung des geistig-kulturellen Milieus, in dem der junge Gymnasiast Gavrilo Princip heranwächst. Er ist durch und durch ein Idealist, der Bücher über alles liebt.

Neue, moderne Literatur prägt ihn. Großen Einfluss üben die Ideen der russischen Sozialrevolutionäre, der Narodniki, die im Jahr 1881 ein tödliches Attentat auf Russlands Zaren verübten. Auch diesen wichtigen Punkt lässt Mayer nicht unbesprochen. Denn bis hin zur russischen Revolution 1917 spielte die Bewegung der Narodniki eine enorme politische Rolle in Russland, Osteuropa und Frankreich.

Publizist und Journalist Gregor Mayer (Foto: Thomas Seifert)
Gregor Mayer berichtete in den 1990er-Jahren für "Profil" und "Standard" aus dem zerfallenden Jugoslawien
Kein bisschen Ruhm für Franz Ferdinand

Gregor Mayers „Verschwörung in Sarajevo“ im Residenz Verlag ist also, aufs Ganze gesehen, ein sehr empfehlenswertes, informatives Buch. Überzeugend in den historischen Fakten, den Pointierungen und den aufschlussreichen Seitenblicken, flüssig geschrieben, knapp und sehr fokussiert, und über alle Seiten spannend zu lesen.

Was das Buch sympathisch macht, ist auch Mayers klares Verständnis von politischem Unrecht. Er macht viele Defekte der autoritären Habsburger Monarchie und ihres abgehobenen Führungspersonals deutlich. Auch Franz Ferdinand erhält kein bisschen Ruhmesglanz: Dessen Reformpläne für die Monarchie waren nur flüchtige Ansätze. Mit F.C.v.Hötzendorf holte der Thronfolger 1906 eine Art Darwinisten des „Daseinskampfs“ und „fanatischen Befürworter des Prä­ven­tiv­kriegs“ an die Heeresspitze Österreichs. Eine politisch höchst unverantwortliche Entscheidung, die Franz Ferdinands tiefere Absichten und politische Ungeeignetheit deutlich spiegelt.

Zur Geschichte des legitimen „Tyrannenmords“

Nur ein kleiner Punkt ist anzufügen: Gregor Mayer, dessen Pers­pek­tive auf das Attentat von Sarajevo wohltuend nüchtern, modern und euro­pä­isch ist, erwähnt nicht die wichtigen angelsächsischen und fran­zö­sischen „Theorien“ des legitimen „Tryannenmords“, die für die Entstehung der westeuropäischen Demokratien von großer Be­deu­tung waren.

Freilich, auch Gavrilo Princip hatte diese westeuropäischen „Theorien“ des legitimen „Tyrannenmords“ wohl nie gekannt, da sie schon 300 Jahre zuvor von protestantischen Politikern und Theologen formuliert worden waren, in Westeuropa, weit weg von Österreich und Habsburg. Aber dennoch geht deren Spur bis hin zur gescheiterten, bürgerlichen Revolution von 1848 in Österreich.

Gavrilo Princip und Österreichs Bürgerrevolution von 1848

Jedenfalls brachte der junge Gavrilo Princip mit seiner Tat ein System zum Einsturz, das antidemokratisch, völlig morsch und überaltet war: die österreichische Monarchie. Klar, es war nicht wirklich Princip, der sie stürzte. Sondern die eigene „Logik“ der Habsburger Monarchie, der Personen, die sie zu Entscheidungsträgern gemacht hatte, führte zu ihrem Untergang; das falsche Weltbild, der Mangel an Humanität, die Kriegstreiberei der „Mächtigen“ in der Habsburger Monarchie. Mit der Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli 1914 hatten sie bewusst in Kauf genommen, dass ein riesiger, verheerender Weltkrieg entsteht.

Zum Ende dieses fürchterlichen, blutigen Ersten Weltkriegs war die Habsburger Monarchie derart desavouiert, dass in Österreich die Erste Republik entstehen konnte. Ein großes historisches Ereignis. Sie war jedoch bereits Österreichs zweiter Anlauf, eine Demokratie nach westeuropäischem Muster zu errichten. Den ersten Versuch in diese Richtung, Österreichs gescheiterte bürgerliche Revolution im Jahr 1848, hatten die Habsburger mitleidlos vernichtet.

Gavrilo Princip, viel zu jung, um die Tragweite seiner Ideen und Tat zu verstehen, war zweifellos auch ein Echo und Nachspiel des Jahres 1848, der damals verpassten demokratischen Reformen in Österreich und Deutschland.

Andreas Wagner / magzin.at

magzin-Buchtipp:
Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip. Residenz Verlag. 2014

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www.residenzverlag.at

Foto Gregor Mayer: © Thomas Seifert
Bild Artikelanfang: Buchcover © Residenz Verlag
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