„Ich trag das Zeug zu vielen Kerlen im Leib“ – Matthias Griebler, die Ausstellung eines Exzentrikers in der Kunsthalle Krems

Der Stockerauer Matthias Griebler ist ein absoluter Geheimtipp der Kunstszene. Genial, exzentrisch, intellektuell und gefühlvoll. Die Kunst­halle Krems zeigt seine erste institutionelle Schau in Öster­reich. magzin.at hat ihn interviewt – über seine Kunst und sein Leben, vorbei an Zen-Buddhismus, Höhlen­hirschen, Pipi Lang­strumpf und Arthur Rimbaud.

Matthias Griebler in seinem Wiener Atelier

Ein „radikaler Exzentriker“ titelte Die Presse über Matthias Griebler. Seit Juni stellt die Kunsthalle Krems Werke des 39-jährigen Künstlers aus. „Er ist ein außergewöhnliches Talent“, schwärmt Hans-Peter Wipp­linger, der Direktor der Kunsthalle Krems (KHK). „Man muss nicht seine schrille, schräge Persönlichkeit allein ins Spiel bringen. Sein Werk ist genial genug, dass man es lange diskutieren kann.“

Ikarus ist doch angekommen

Griebler, in Wien geboren und in Stockerau aufgewachsen, hat sich bewusst rar gemacht. Bis dato war er ein absoluter Geheimtipp – gehegt und geschätzt in New York und Paris und in Deutschland, bei einer Handvoll anspruchsvoll-feinsinniger Sammler und Galeristen. „Ich glaube, Matthias Griebler hat ein unglaubliches Potential“, ist Hans-Peter Wipplinger überzeugt.

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„Was, wenn Ikarus angekommen wäre?“, sagt Griebler. „Am besten ich arbeite, es ist mir Zwang und Erlösung.“ Grieblers Metier ist die Zeich­nung. Präzise Linien, mal karikaturhaft, mal souverän altmeisterlich. Akribisch, dann wieder grell-frivol.

Cut-Outs und Wunderkammern

Griebler bringt sie in vielfältigen Formen: mit Bunt- und Bleistift, als Radierungen, Cut-Outs, Collagen, mitunter scheinbar grenzenlosem Gehäufe von Figuren. Bis hin zu Objektkästen, die die Zeichnung ins Dreidimensionale heben.

Eine Art barocker Wunderkammer, vom Künstler-Demiurgen symbolisch aufgeladen. „Eine Welt im Kleinen“, beschreibt Nicole Fritz. Ein Stück, darf angefügt werden, auch Antonin Artaud und Robert (!) Walser, wo sich oblique, vor allem en miniature Gott (das Numinose) als paralleles Universum öffnet.

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Der Platz für Mutig-Neues – die Factory

Hans-Peter Wipplinger hat selbst die Ausstellung kuratiert. Und Matthias Griebler entdeckt. „Mein Wunsch war, diese unglaubliche Verdichtung der Kunst zu zeigen, die ich in seinem Haus gesehen habe. Dass man trotzdem aber die zweidimensionalen Werke auch klassisch zeigt. Denn jedes Bild ist auch einzeln ein Highlight.“

Präsentiert wird die Ausstellung Matthias Griebler in der „Factory“ der Kunsthalle Krems. „Für mich ist die Factory eine ideale Plattform für junge Künstler, für Neuentdeckungen“, so Wipplinger.

Für die Jungen wird, meint er, in Wien und – mit wenigen Ausnahmen – in ganz Österreich zu wenig Platz geboten. „Ich merke es an den Bewerbungen, dass da ein irrsinniger Bedarf für junge Künstler wäre.“ Das Schielen auf die Publikumsquote in den Kunsthäusern zementiert das Etablierte.

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Die Ausstellung „Matthias Griebler“ in der
Kunsthalle Krems (factory) läuft bis 2. Oktober 2011.

alle weiteren Infos auf: www.kunsthalle.at

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Interview mit Matthias Griebler
„Ich trag das Zeug zu vielen Kerlen im Leib“

geführt von Andreas Wagner, Herausgeber des magzin.at

magzin: Es ist ihre erste institutionelle Schau in Österreich. Sie haben sich all die Jahre in der Öffentlichkeit rar gemacht. Warum?

Griebler: Weil ich vielfach in anderen Kategorien denke. Ich gelte als schwieriger Mensch. Ich arbeite lieber, als dass ich mich beliebt machen möchte. Ich bin kein Opportunist und Klinkenputzer, weil mich das zu viel Zeit und Charakter kosten würde.

magzin: Sie wurden von einer großen österreichischen Zeitung als „radikaler Exzentriker“ bezeichnet. Trifft das auf Sie zu?

Griebler: Wird nicht immer alles für wahr gehalten, was in der Zeitung steht? – Ob es begründet ist, wollen Sie wissen? Eine Dame, die sagt, sie sei eine Dame, ist keine Dame.

magzin: Wie kommt das in Ihrer Kunst zum Ausdruck?

Griebler: Ich trage das Zeug zu vielen Kerlen im Leib. Ich bin eine sozusagen multipel gespaltene exzentrische Persönlichkeit. Und deshalb ist meine Arbeit auch so versatil.

magzin: Ich ist ein Anderer, stand als großer Satz am Anfang der Moderne in der Literatur …

Griebler: Wo wir bei dem Satz von Arthur Rimbaud sind – wenn ich meine Ausstellung hier ansehe, dann kann ich mich oft nur wundern, wer das gemacht hat. Das ist so unheimlich wie schön. Vor allem in welchen Zeiträumen und Zeitläuften.

magzin: Auf welche Jahre blicken wir, wenn wir hier durch Ihre Ausstellung gehen?

Griebler: Manche meiner Arbeiten hier sind über große Zeiträume entstanden. Eine davon über zwölf Jahre. Eine andere, ein Buch mit 158 Zeichnungen, ist binnen weniger Tage entstanden. Ich habe sie gemacht, als klar wurde, dass meine Mutter stirbt. „Ein Schiff aus Wellen nannt ich Arche“ – das ist ein Kernblatt daraus.

magzin: Was sind die Themen, die Sie besonders beschäftigen?

Griebler: Das menschliche Leben in all seinen Aspekten. Das irdische Dasein. Das ist mein Thema. Es geht darum, das Dasein zu erfassen.

magzin: Arbeiten Sie mehr konzeptionell oder lieber intuitiv?

Griebler: Das ist eine gute Frage. Beides. Das ist auf ganz merkwürdige Weise stark verschränkt. Ich denke sehr viel. Und ich fühle sehr viel. Es ist beides.

magzin: Was ist das besondere Thema der Ausstellung, die ja Hans-Peter Wipplinger kuratiert hat?

Griebler: Das Thema der Ausstellung ist Thanatos und Eros. Es gibt Bilder aus meiner Herodes-Serie. Herodes war meine völlig absurde Reaktion auf Leben, Neues. Und das „Mama-Buch“ auf den Tod. Keine einfache Angelegenheit. Aber das sind zwei wichtige Pole.

magzin: Ihre Mutter war selbst auch Künstlerin. Haben Sie von ihr das Zeichnen gelernt?

Griebler: Ich habe viele Jahre nichts gemacht und bin lieber mit dem Moped durch die Gegend gefahren. Erst mit 21 habe ich richtig zu zeichnen begonnen. Ich habe es nie gelernt. Ich habe es immer gemacht.

magzin: Sie wurden an der Akademie der bildenden Künste in Wien als Student zunächst abgelehnt. Erst als sie Bilder produzierten, die genau dem Zeitgeschmack der Professoren entsprachen, hat es dann geklappt.

Griebler: Das waren Höhlenmalereien im Stile der 1990er-Jahre. Ich habe extra ein Konvolut angefertigt. Und habe mir den Namen Wotan Anzengruber gegeben, einen Alpendialekt zugelegt und einen Strick-Overall angezogen. Dazu eine Plastikuhr, ganz wichtig.

So wurde ich dann zugelassen. Ich wollte bei den Leuten gewisse Saiten zum Schwingen bringen. Bei der Aufnahmeprüfung habe ich dann Hirschköpfe gemacht. Gezeichnet wie Kinder. Ich liebe Kinderzeichnungen, aber es ist halt keine Kunst. Es ist unmittelbarer Ausdruck.

Hirschköpfe – das habe ich dann genannt Hirschsonne kämpft gegen Jägersonne, Jägersonne gegen Hirschsonne, Hirschhöhle, Höhlenhirsch. Also – Jagdangelegenheiten, prähistorisch, aber in den 1990er-Jahren.

Viele Leute bekommen an den Kunsthochschulen keine Chance. Vieles wird ferngehalten unter dem Vorwand, es wäre nicht modern.

magzin: Wie weit braucht ein Künstler die Traditionen der Kunstgeschichte und Vorbilder, um dann selbst radikal subjektiv arbeiten zu können?

Griebler: Tradition, wenn sie gut ist und voller Kraft, ist absolut lebendige Gegenwart. Wenn ich ein Blatt von Hercules Seghers nehme oder einen Stich von John Martin ansehe oder ein Bild von Vermeer – das ist Gegenwart. Stärker als vieles, was in einem white cube herumhängt.

magzin: Sie sagen Gegenwart. Meinen Sie Vergegenwärtigung wie die Existenzphilosophie? Oder das Jetzt-Sein wie in spirituellen Kreisen heute?

Griebler: Ich würde sagen Jetzt-Sein. Es ist doch alles gleichzeitig jetzt da.

magzin: Ich will Sie jetzt auf eine Formel bringen. Meinen Sie das „absolute Präsens“, wie das Frühromantiker und Surrealisten erfahren haben?

Griebler: Pipi Langstrumpf. Pipi Langstrumpf.

magzin: Sie sind also – Zen-Buddhist?

Griebler: Nein. Ich bin kein Zen-Buddhist. Aber ich bin sehr gut mit einem befreundet. Der liebt meine Zeichnungen.

Es hängt und fällt alles mit dem Menschen. Es gibt auch keine – im Grunde – Perfektion. Perfektion neuerdings, der Begriff hat sich ja auch gewandelt, ist meistens Glätte und Autolack. Aber es zerfällt alles.

Und die Schönheit der Welt, ob man es Gott oder Natur oder sonstwie nennt, das dies alles erfunden hat – das ist etwas ganz Großes und Schönes und Heiliges.

Es gibt keine Prinzipien. Es geht um Freiheit und Charakter. Aber selbst das gilt nicht, insoferne ist es zen-buddhistisch.

Das Wichtige ist ohnehin hier an den Wänden der Ausstellung. Man muss die Schönheit einer Linie studieren, den Ausdruck. Ein Kunstwerk ist immer auch ein Zeit- und Energieträger. Das entzieht sich dann. Darüber kann man nicht sprechen.

magzin: Vielen Dank für das Gespräch.

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Foto Artikelanfang: © Matthias Griebler / Fotograf: Dimo Dimov
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