Ein verdächtiger Bürger „zweiter Klasse“ – Edgar Dutka, tschechischer Schriftsteller, zu Gast bei ULNÖ

Seine Mutter wurde Opfer des kommunistischen Regimes und musste aus Tschechien fliehen. Edgar Dutka kam ins Waisenhaus und lebte bis zum Fall des Eisernen Vorhangs als „Bürger zweiter Klasse“. Der tschechische Schriftsteller ist jetzt Atelier-Gast im Literaturhaus Krems (ULNÖ). Wolfgang Kühn traf ihn zum Interview.

Karlsbrücke in Prag

von Wolfgang Kühn — Edgar Dutka ist in der tschechischen Weinregion um Břeclav aufgewachsen, an der Thaya gelegen, unmittelbar an Niederösterreich und das Weinviertel grenzend. Den November über ist er Literaturgast in der Weinstadt Krems. Bei der Anreise mit dem Auto hat er auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze Weingärten vorgefunden, in einer Region, wo die Menschen seit tausend Jahren Wein anbauen, und hat unweigerlich daran denken müssen, dass das alles vierzig Jahre lang durch einen Stacheldraht in zwei Welten getrennt war.

Lieber Bier als Wein, um die Dinge zu ertragen

Dabei trinkt er daheim in Prag – wie alle Tschechen – lieber Bier als Wein. Das hat schon seine Gründe, meint Edgar Dutka, denn im Bier ist ja Hopfen enthalten und der wiederum enthält heilende Substanzen, die sehr geeignet sind die Nerven zu beruhigen. Drei Krügerl Bier am Tag sind das Allheilmittel, um die Tschechen ruhig zu halten, das war auch nötig, um die 400 Jahre unter der Herrschaft der Habsburger, die sechs Jahre Nazideutschland und dann noch die vierzig Jahre Kommunismus zu ertragen. „Jetzt hat der Kapitalismus wiederum Betrüger und Karrieristen an die Macht gespült und wir brauchen unser beruhigendes Bier immer noch!“

Edgar Dutka, tschechischer Schriftsteller
Edgar Dutka im ULNÖ in Krems (Foto: © Wolfgang Kühn)

Verlust der Mutter und Waisenhaus – Opfer des kommunistischen Regimes

Edgar Dutka wurde 1941 geboren und ist in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Seinen Vater hat er nicht gekannt, seine Mutter war ein Opfer des kommunistischen Regimes. Sie hatte nach dem Putsch 1948 rund dreißig Menschen bei der Flucht über die Grenze geholfen, wurde daraufhin ins Gefängnis gesteckt, aus dem sie aber fliehen und sich ins Ausland (Australien) absetzen konnte. Edgar hat zwei Jahre seiner Kindheit im Waisenhaus verbracht, sein Hass auf den Kommunismus muss sehr groß gewesen sein – warum ist er aber dennoch kein Dissident im klassischer Sinn geworden?

Ein verdächtiger Bürger „zweiter Klasse“

„Diese klassischen Dissidenten, wie Du sie nennst,“ – und da wird die freundliche Stimme plötzlich etwas lauter und emotionaler – „waren doch oft bloß solche, die nach 1968 die Seiten gewechselt haben. Dadurch dass meine Mutter aus dem Gefängnis ausgebrochen war und nach Australien geflohen war, war ich vom System von jeher als „Bürger zweiter Klasse“ gebrandmarkt und wurde wie ein Dissident behandelt.

Ich hatte die besten Noten und wurde dennoch nicht zur Universität zugelassen und ich durfte 1973 nicht mal zum Begräbnis meiner Großmutter nach Wien fahren, obwohl ich alle dafür notwendigen Unterlagen und Stempel hatte. In meinem Fall war dann plötzlich die Großmutter eine zu weitschichtige Verwandte.“

Edgar Dutka hat 1974 geheiratet und um seinen Töchtern ein ähnliches Schicksal wie es ihm selbst widerfahren ist zu ersparen, hat er anstatt Schriftsteller zu werden als Drehbuchautor, Regisseur und Dramaturg von Zeichentrickfilmen gearbeitet. Und selbst da durfte er beispielsweise bei Kooperationen mit Westdeutschland nicht dabei sein, weil er als „verdächtig“ galt.

„Waisenhausgasse 5“ – und viele ungeschriebene Bücher

Edgar Dutka, tschechischer Schriftsteller
Edgar Dutka (Foto: ©Ales Lederer)

Über seine Kindheit hat Edgar Dutka im Buch „Waisenhausgasse 5“ geschrieben. Das Buch ist in den sechziger Jahren entstanden, wurde aber nirgendwo publiziert. Erst 2003 erschien es im Prager Prostor Verlag. Für den Autor eine späte Genugtuung, aber er empfand auch eine große Wut darüber, dass das kommunistische System nicht schon früher zusammengebrochen war. Edgar Dutka hatte eine Liste angelegt mit Büchern, die er noch schreiben wollte. Mit dreißig wäre sich das noch ausgegangen …

Das ursprüngliche Manuskript aus den sechziger Jahren hat er fast zur Gänze beibehalten und nur ganz geringfügige Änderungen gemacht, nichts wegstrichen, im Gegenteil, es sind zwei Kapitel dazugekommen, die man leicht erkennen kann, weil sie in der „ER“- Perspektive geschrieben sind. Diese Geschichten hätte er in den Sechzigern auf keinen Fall veröffentlichen dürfen, weil sie sehr politisch waren.

Eine Kriminalgeschichte mit kommunistischen Charakteren

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hatte er nie gerechnet. Die Mehrheit der Tschechen habe nicht damit gerecht – die Polizei, die Armee, die Zensur, das Denunziantentum, die Geheimpolizei – das alles schien unüberwindbar! Edgar war damals überglücklich, ein paar Monate zumindest, aber dann, meint er, seien „wieder andere Betrüger und Karrieristen“, hauptsächlich Ex-Kommunisten, an die Macht gekommen.

Edgar Dutka ist Autor und Mitautor von über vierzig Zeichentrickfilmen und ist erst nach der Wende als Verfasser von Kurzgeschichten und Romanen öffentlich in Erscheinung getreten. Zu spät, wie er meint.

Er gibt da diese Liste mit elf Büchern, die er in seinem Leben gerne geschrieben hätte, aber es fehlt ihm heute teilweise der geschichtliche Hintergrund, er hat viele Sachen einfach vergessen. Neben dem Buch, an dem er derzeit arbeitet, würde er noch gerne eine Art Kriminalgeschichte mit kommunistischen Charakteren schreiben und vielleicht auch etwas fürs Theater. Seit der Wende hat Edgar Dutka insgesamt sechs Bücher geschrieben.

Wo sind die Kremser beim Wein?

In Krems überarbeitet er einen „Kurzgeschichtenroman“, der ungefähr 150 Seiten umfassen wird. Durch Umzug in Prag in den letzten beiden Monaten und seine Tätigkeit als Professor an der Prager Filmakademie hat er keine Zeit zum Schreiben gefunden. Jetzt bräuchte er noch ein zweites Monat hier im schönen Krems, um in Ruhe arbeiten zu können.

„Krems ist eine reizende barocke Stadt mit einem beeindruckenden Fluss, dazu die Wachau, Stein, das Gefängnis … Der große Unterschied zu tschechischen Städten ist, dass hier sonntags die Geschäfte geschlossen haben. In Tschechien gibt es so viele Atheisten – das Erbe des Kommunismus –, darum gehen die Tschechen sonntags einkaufen und sitzen in Pubs. Was mir auch auffällt, ist, dass hier die Restaurants oft leer sind. Kaufen sich die Leute Flaschen für allein zu Hause oder haben sie keine Sorgen und Probleme, die sie mit anderen bei einem Bier in einer Gaststätte besprechen müssen?“

Foto Artikelanfang: Karlsbrücke in Prag – © Innocent / fotolia.com

DONNERSTAG, 24. NOVEMBER 2011
GESCHICHTEN VON DER WELT
Lesung: Julia Franck, Ilija Trojanow und Edgar Dutka
Ort: Literaturhaus NÖ / Krems, www.ulnoe.at

DIENSTAG, 29. NOVEMBER 2011
O+ DEPENDANCE OST
Lesung: Ateliergast Edgar Dutka
ORT: Buchkontor, Kriemhildplatz1, 1150 Wien, www.ulnoe.at

Edgar Dutka, geboren 1941, zählt zu den führenden tschechischen Prosaautoren. Nach der Festnahme seiner Mutter wegen staatsfeindlicher Tätigkeit wurde er kurz nach dem Machtantritt der Kommunisten in ein Kinderheim eingewiesen. Auf den Erfahrungen dieser Jahre basiert das Erzählmosaik Waisenhausgasse 5, das Dutka wie andere Texte erst nach Ende des kommunistischen Regimes veröffentlichen konnte. 2004 folgte der mit dem tschechischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnete Roman Fräulein, der Hundefänger kommt! Seit 1974 ist Dutka als Drehbuchautor, Regisseur und Dramaturg von Zeichentrickfilmen tätig. Er lebt und arbeitet in Prag.